Hakuna Matata am Kilimanjaro. Wie kommt jemand auf die Idee, die Strecke von 260 km rund um den Kilimanjaro in Tansania rennend zurückzulegen? Im Jahr 2012 startete Simon Mtuy das Projekt Kilimanjaro Stage Run mit ambitionierten Trailrunnern. Unabhängig von den bekannten Touristenspots des Landes zeigt er das ursprüngliche, natürliche Tansania. Vom 9. bis 16. August 2016 fand bereits die vierte Ausgabe des Laufes statt. Ein kleiner Kreis von gerade mal zehn Ausdauersportlern aus den USA, Frankreich, Grossbritannien, Finnland, Tschechien, Südafrika und Deutschland bewältigte die Strecke am Fusse des höchsten freistehenden Bergmassivs der Welt. ACTREME war für euch dabei.
Karibu! Willkommen! Das Abenteuer Kilimanjaro beginnt am gleichnamigen Flughafen in Moshi. Als letzter Passagier stehe ich am Gepäckband und sehe Kartons und Sperrgut einsam ihre Kreise ziehen. Taschen und Koffer sind längst alle vergriffen. Im Fundbüro stapeln sich liegen gebliebene Gepäckstücke. Da ist wohl so mancher Reisende ohne seine erprobte Ausrüstung unterwegs zum Kilimanjaro. Der hilfsbereite Mitarbeiter versicherte mir umgehende Nachlieferung. Vorausgesetzt die Tasche wird aufgefunden.
Mit einer Not-Laufausrüstung im Handgepäck geht es in die Berge. Mein erster Mehrtageslauf steht an. Plötzlich sind alle so wichtigen Dinge nebensächlich. Die erprobte Ausrüstung, Lieblingslaufschuhe und Ernährungsstrategie bleiben an irgendeinem Flughafen zurück. Der Vorfreude auf die kommenden acht Tage tut das keinen Abbruch. Ich habe Laufschuhe an, Hose und T-Shirt im Rucksack. Minimalisten brauchen nicht mehr. Das Erlebnis Kilimanjaro Stage Run hat genau jetzt begonnen.
Ein Chagga läuft nicht. Tansania ist im Gegensatz zu seinem nördlichen Nachbarn Kenia nicht die grosse Läufernation. Simon Mtuy hat bereits früh mit dem Laufen angefangen. Für ihn bedeutet Bewegung Freiheit. Sport in der Natur, Laufen abseits von Strassen und Wegen. Während seiner Militärzeit hat er das Training optimiert und nahm erfolgreich an internationalen Trailläufen teil. Als bester tansanischer Trailläufer hält er verschiedene Rekorde. Am Kilimanjaro, seinem Hausberg, setzte er mit 9.21 h ein Ausrufezeichen für den schnellsten unbegleiteten Auf- und Abstieg. Für „normale“ Trekkingtouristen unvorstellbar. Die schnellste Runde über die Machame Route bewältigen sie in fünf Tagen.
Dabei kamen seine Ambitionen nicht immer gut an. Ein Vorgesetzter im Militär gab ihm klar zu verstehen: Chaggas don’t run! Die Chaggas, das rund um den Kilimanjaro lebende Volk sind bekannt für ihre Bodenständigkeit. Sie leben vom Ackerbau und dem Handel mit landwirtschaftlichen Produkten. Besonders durch die Kultivierung des Kaffee’s an den Hängen des Bergmassivs in den 1950er und 60er Jahren konnten sie gute Gewinne erzielen. Es entstand eine mittlere Bevölkerungsschicht, die Kinder können höhere Schulen und Universitäten besuchen. Die Alphabetisierungsrate gilt mit knapp 80% als eine der höchsten auf dem afrikanischen Kontinent.
Simon verstand den Sport schon immer als etwas Völkerverbindendes. Er liess sich auch durch die Bedenken seines Umfeldes nicht vom Laufen abbringen. Durch seine offene und positive Art begeisterte er bei seinen internationalen Wettkämpfen viele andere Laufverrückte. Laufen ist für ihn Lebenseinstellung. Mit seinen 1.98m hat er nicht gerade das Läufer Gardemass. Die Erfolge sprechen aber für ihn. Unter anderem ist er der einzige internationale Läufer, der die begehrte Gürtelschnalle des Western States Endurance Run in den USA sein eigen nennen kann. Um diese zu bekommen, muss der älteste 100 Meilen-Traillauf in Kalifornien 10x in weniger als 24 h beendet werden. Und Tansania hat er mit dem Kilimanjaro Stage Run auf die Weltkarte der Trailläufer gebracht.
Wir treffen Simon am Tag vor dem Start. Viele Fragen beschäftigten die kleine Läufergruppe. Welche Riegel, Gel, isotonischen Getränke verträgt der Körper während acht Tagen Dauerbelastung? Laufen in kurz/kurz oder doch eher eine Jacke am Morgen? Ist die Komfortzone von 5°C beim Schlafsack ausreichend? Die Strassenschuhe oder die grobstollige Trailversion? Alles Fragen, die mich kalt lassen. Es kann so entspannt und einfach sein mit nur einer Laufgarnitur! Nach mehrmaligen Anrufen bekam ich am Nachmittag dann aber eine gute Nachricht. Meine Tasche ist tatsächlich in Dar es Salaam aufgetaucht und wird am Abend mit der letzten Maschine nach Moshi geschickt. Morgen sollte ich also voll ausgerüstet den Lauf in Angriff nehmen können. Beruhigend, oder doch nicht?
Der heilige Berg. Noch vor dem Frühstück am nächsten Morgen dann die Ernüchterung: die Fluggesellschaft hat die Tasche noch nicht lokalisiert. Ob sie überhaupt schon in Tansania angekommen ist, kann niemand sagen. Kehrtwende auf afrikanisch. Soll ich meine bisher grösste sportliche Herausforderung aufgrund fehlendem Equipments absagen? Das kam gar nicht in Frage. Meine Laufpartner für die nächsten Tage unterstützen mich in der Entscheidung. Schnell sind eine Trinkblase für den Rucksack, Wechselsachen, eine Stirnlampe, Sonnencreme, eine Mütze und ein paar Riegel und Gels organisiert, damit wir pünktlich die erste Etappe entlang des Kilimanjaro Nationalparks in Angriff nehmen können.
Der Kilimanjaro, mit 5.895 m der höchste Berg Afrikas. 350 km südlich des Äquators im Norden Tansanias gelegen, ist bei Trekking-Touristen sehr beliebt. Er kann auf sieben unterschiedlichen Routen bestiegen werden. Unter den „Seven Summits“ – den höchsten Bergen aller Erdteile – gilt er als der technisch Einfachste. Der Verlockung auf das Dach Afrikas zu steigen, können jährlich ca. 25‘000 Menschen aus der ganzen Welt nicht widerstehen. 2/3 aller Besteigungen sind erfolgreich. Der Rest scheitert an der Höhe, fehlender Kondition oder dem äusserst wechselhaftem Wetter. Beim Aufstieg gilt es fünf Klimazonen mit Temperaturschwankungen von +25°C bis -15°C zu durchqueren.
Der König der afrikanischen Berge erhebt sich fast 5.000 m aus der Trockensavanne des Umlands. Bei den Chagga gilt der Kilimandscharo als heilig, sie vermuten auf ihm das Haus Gottes. In früheren Zeiten wagten sie nicht, seinen Gipfel zu besteigen. Am 6. Oktober 1889 erreichte der Leipziger Geograph Dr. Hans Meyer zusammen mit dem Österreicher Alpinisten Ludwig Purtscheller den höchsten Punkt des Kraterrandes. Die damalige „Kaiser-Wilhelm-Spitze“ wurde 1961 aus Anlass der Unabhängigkeit Tansanias in Uhuru Peak» umbenannt.
An keinem Ort der Erde gelangt man schneller vom tropischen Regenwald in die Arktis. Die Vegetation verändert sich mit auch während des Laufes ständig. In einer Höhe von 800 m beginnt der Kaffee-Bananen-Wald, ein von Kleinbauern landwirtschaftlich intensiv genutzter Kulturwald. Kaffee, Bananen, Süsskartoffeln, Mais und viele Getreidearten gedeihen in dem feuchtwarmen subtropischen Klima sehr gut. Die Bauern bearbeiten die Felder ausschliesslich per Hand. Seit Jahrhunderten beziehen sie ihr Wasser über ein ausgeklügeltes Kanalsystem aus der feuchten Region des Regenwalds darüber. Auf den schmalen Pfaden entlang dieser kleinen Kanäle läuft es sich fantastisch. Den Blick geht dabei in die tiefen Schluchten der Täler. Das Tosen der Wasserfälle ist hunderte Meter weit zu hören.
Der Bergregenwald erstreckt sich von 1.800 m bis 2.800 m. Hier fallen die meisten Niederschläge. Dieser Bereich ist seit 1921 zum grössten Teil Wildreservat. Die Strecke des Kilimanjaro Stage Run führt hauptsächlich durch diese Vegetationszone. Hier zu laufen ist etwas komplett Anderes als am Wannsee oder an den Isarauen. Die Pflanzen wuchern, die Eukalyptusbäume scheinen unendlich in den Himmel zu ragen. Viele dieser bis zu 40 m hohen Baumriesen sind mit Orchideen, Farnen, Moss und Flechten bewachsen. Durch wildes Dickicht und die saftige sattgrüne Pflanzenwelt bahnen wir uns den Weg. An den steilen Hängen geht es oft nur auf allen Vieren bergan. Die Dornen bohren sich in die Schienbeine. Das ein oder andere T-Shirt bleibt hier auf der Strecke. Immer wieder müssen wir uns gegenseitig aus den Fängen der Sträucher befreien. Ein unvergessliches Erlebnis auf Lebenszeit.
Die afro-alpine Stufe beginnt ab 2.800 m als Grasland, Heidegebüsch- und Steppenregion, ihr oberes Ende liegt bei rund 4.000 m. Kennzeichen der Region ist der Riesenwuchs von Senezien und Lobelien, eigentlich niedrige Blumen, von mehreren Metern Höhe. Vielerorts erstrecken sich ausgedehnte Moorflächen. Die Temperaturen schwanken in diesem Bereich von +40°C tagsüber bis 0°C nachts. Das Gebiet wird felsiger, die Luft ist trocken.
Als Hochwüste werden die Bereiche über 4.000 m bezeichnet. Kennzeichen sind extreme Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht. Mit den geringen Niederschlägen kommen hier nur noch rund fünfzig Pflanzenarten vor. Die Landschaft erscheint wüstenartig. Vulkansteine dominieren das Bild. Die Gletscher reichen noch bis zu 4500 m hinab. Schon seit Jahren ist ein stetiger Rückgang der Eismassen zu beobachten. Ein völliges Verschwinden der Gletscher wird für die kommenden Jahrzehnte prognostiziert. Auf die tiefer liegenden Regionen hätte das verheerende Auswirkungen. Vor allem der Bergregenwald ist Lebensraum für eine Vielzahl von Tierarten, die aufgrund des dichten Bewuchses nur selten zu entdecken sind. Noch am ehesten sehen wir während des Laufs Affen und Paviane. An einem Tag eine ganze Horde von mehr als 50 Prachtexemplaren.
Die oberste Klimaregion am Kilimanjaro beginnt ab 4500 m und ist ein Schnee- und Gletschergebiet, der wenige Niederschlag fällt als Schnee. Über 4900 m wächst als einzige Pflanze nur noch eine Krustenflechte und mit einem Zuwachs von nur einen Millimeter pro Jahr, sie kann aber mehrere hundert Jahre alt werden. Hier oben ist der Sehnsuchtsort der Trekker und Bergsteiger. Von Glücksmomenten sprechen die, die den Uhuru Peak, den Reusch Krater oder den Mawenzi erklommen haben.
Während die Landschaft rund um die weit über das Umland aufragende Gipfelpassage im Süden steil und zerklüftet abfällt, erstreckt sich im Norden weites Ackerland bis an die kenianische Grenze. Die gesamte Gegend ist sehr fruchtbar. Neben Mais, Kartoffeln, Bananen, Weizen und Hafer gedeiht auch eine sehr gute Kaffeequalität im ausgeglichenem Klima am Fusse des Berges. Der Kilimanjaro Stage Run führt auf weiten Strecken durch die Plantagen und Felder. Landwirtschaft ist hier noch reine Handarbeit. Die Bauern habe die Ernte für diese Zeit bereits eingefahren. Die nächsten Monate steht die Trockenzeit bevor.
Ausserirdische Mzungus. Das ist auch beim Laufen schon spürbar. Der Schmutz der staubigen, rotbraunen Erde auf den flachen Etappen im Massaigebiet lässt sich kaum abwaschen. Socken, T-Shirt, aber auch alle Körperstellen sind am Abend jeweils schwarz. Im Camp – während der Etappen wird in Zelten übernachtet – muss eine Dusche aus einer Schüssel heissen Wasser ausreichen, um den Körper für den nächsten Tag frisch zu machen. Für uns Läufer Mittel zum Zweck, ist es für die Tansanier eine Show, einen Ausländer mit freiem Oberkörper sich waschen zu sehen.
Immer wieder hallt uns ein Pole Pole – langsam, langsam – entgegen. Die Einheimischen schauen uns misstrauisch an. Weisse, rennend, dabei freudig lachend? Auf einige scheinen wir wie Ausserirdische zu wirken. Sie bleiben wie versteinert mit der Hacke in der Hand stehen. In die abgelegenen Dörfer verirrt sich das ganze Jahr kein Tourist. Die Kinder trauen sich näher. Wollen die Mzungus – wie die Europäer und Amerikaner genannt werden – anfassen. Die Bezeichnung stammt noch aus der Zeit, als europäische Kolonialpolitiker, fahrende Händler und Forschungsreisende Ostafrika entdeckten und rastlos von einem Ort zum nächsten zogen. Mzungu steht als Synonym für eine Person, die ziellos durch die Gegend fährt und herumstreunt. Und das könnte ja auf eine Gruppe laufender Weisser mit lustigen bunten Sachen und Rucksäcken ja genauso zutreffen.
Die Rückfrage nach der Tasche habe ich fast aufgegeben. Zwischenzeitlich kam ein Anruf. Das Gepäck sei auf dem Weg in Simons Büro in Moshi. Am kommenden Tag geht ein Transport zu unserem Tagesziel. Der Fahrer sollte mein Hab und Gut dann dabeihaben. Ich bin Optimist, glaube in diesem Fall jedoch erst daran, wenn ich sie in den Händen halte. Ein weiterer Tag voller Improvisation geht zu Ende.
Mittlerweils sind wir im Niemandsland zwischen Tansania und Kenia angelangt. Hier sind die Massai zu Hause. Bekannt aufgrund ihrer auffälligen Kleidung und ihrer weitgehend beibehaltenen nomadischen Lebensweise. Ein Volk von gerade mal einer halben bis zu einer Million Angehörigen. Genaue Zahlen gibt es keine. In Kenia, dem Hauptlebensraum der Massai, geben viele ihre ethnische Herkunft nicht an, die sie Benachteiligungen fürchten. In Tansania wird bei Volkszählungen die Stammeszugehörigkeit nicht berücksichtigt. Während wir die älteren Massai in der traditionellen Kleidung antreffen, tragen die jungen Jeans und telefonieren mit dem Handy. Das Volk vollzieht gerade einen grossen Umbruch. Viele Massai sind sesshaft und wechseln nur alle paar Jahre, abhängig von der Fruchtbarkeit des Landes, den Platz. Ursprünglich Hirten, verdienen sich heute mehr und mehr Angehörige der Volksgruppe ihren Lebensunterhalt in gängigen Berufen, zum Beispiel als Nachtwächter oder Türsteher. Die Kinder werden in Schulen geschickt. Tradition und Moderne verschmelzen. Nach wie vor muss der künftige Ehemann bei der Heirat aber einen Brautpreis entrichten. Dieser kann bis zu 30 Rinder betragen. An manchen Ritualen wird nicht gerüttelt.
Nach einigen Tagen laufen wird die Gruppe nicht müde. Im Gegenteil, jeweils erstaunlich erholt bereiten sich alle bei Sonnenaufgang auf den kommenden Tag vor. Und auch die unzähligen Jambo – Hallo, wie geht’s dir? – gehen immer besser von den Lippen. Der Körper gewöhnt sich an die ständig wiederkehrende Belastung. Besser, als jeder es erwartete hätte.
Die Teilnehmer des diesjährigen Kilimanjaro Stage Run sind bunt zusammengewürfelt. Bis auf eine Ausnahme hat noch keiner einen Lauf über eine Marathondistanz hinaus absolviert. Was alle verband, war die Liebe zu Trailläufen. Trailrunning, im deutschen auch als Wald- oder Landschaftslauf bekannt, gilt als ursprüngliche Laufart. Jeder Lauf abseits von befestigten Strassen wird als Traillauf bezeichnet. Das Laufen auf Pfaden wird als besonders naturnah empfunden. Grober Untergrund und Hindernisse trainieren neben der körperlichen Ausdauer auch Koordinations- und Konzentrationsfähigkeit des Läufers. Da der gesamte Körper stabilisiert werden muss, werden mehr Muskelgruppen als beim Laufen auf der Strasse beansprucht.
Das Laufen auf weichem Untergrund ist sehr Gelenke schonend. Aufgrund der unterschiedlichen Belastung von Muskeln, Sehen und Bändern ist Trailrunning sehr gesund. Es kommt nicht zu einer permanenten Belastung derselben Bereiche, was das Verletzungsrisiko durch das Laufen deutlich verringert. Besonders die Fussgelenke werden trainiert – und starke Fussgelenke nehmen Druck von den Unterschenkeln. Dadurch werden Achillessehne und Schienbein nicht so stark beansprucht.
Jeder Schritt ist anders und beansprucht den Bewegungsapparat auf unterschiedliche Weise. Waldwege sind uneben und Wurzeln oder Steine gehören dazu. Ganz anders eben als Asphalt wird der Körper beim Trailrunning zwar mehr beansprucht, aber dadurch eben auch stärker.
Und genau das spüren wir von Tag zu Tag. Wir werden mit jedem Kilometer und jedem Höhenmeter stärker. Die magische Grenze von 200 km ist am sechsten Tag geknackt. Niemand fühlt sich erschöpft oder ist des Laufens leid. Simon’s Strategie geht auf: Spass haben, die Umgebung geniessen und wichtig: lachen beim Laufen. Die Endorphinproduktion läuft auf Hochtouren. Die Grenzen sind mittlerweile so weit verschoben, dass sich keiner ein Ende dieses Trips wünscht. Die Sinnesorgane werden täglich von Reizen überflutet. Die Stille der Natur. Im Gegensatz dazu das Kreischen der Kinder, wenn wir eine Schule passieren. Der Duft des feuchten Regenwaldes. Die kühle, klare Luft am Morgen. Der Anblick des Kilimanjaro. Nach 7 Stunden körperlicher Betüchtigung freut sich am Abend natürlich jeder auf eine warme Mahlzeit. Es braucht aber nicht viel, um die Truppe am nächsten Morgen wieder mobil zu machen. Voller Vorfreude geht es auf die nächsten Kilometer. Es kann alles so friedlich sein. Laufen, Essen, Schlafen. Was braucht man mehr?
Asante sana. Die Laufstrecke wird mehrmals pro Jahr von Simon, Manasse, Robson und Iddi – den Guides – abgelaufen. Zu schnell verändert sich die Natur. Enge Trampelpfade sind plötzlich zugewachsen. Im Urwald hat sich das Wasser einen Weg gebahnt und einen Teil der Route weggespült oder ein Bauer hat den Weg zwischen den Feldern nach der letzten Ernte urbar gemacht. Überraschungen warten immer wieder. Eine exakte Kilometer Angabe vor dem Lauf ist nicht möglich. Aus 260 km werden am Ende 274 km. Aber gerade das macht den Reiz aus. Abseits jeglicher vermessener Wege und Strassen. Quer durch das Gelände. Wir sind uns einig. Niemand von uns Mzungus würde die Strecke je wiederfinden.
Erstaunlich gut kommt auch die Verpflegung für die Laufetappen an. Jeder Läufer stellt sich sein Tagespaket selbst zusammen. Süsskartoffeln, gekochte Eiern, Bananen in Honig, Karamelwaffeln, Brot mit Erdnussbutter, Salz, viel Wasser, isotonische Getränke. Damit lässt es sich stundenlang laufen. Keine Magenbeschwerden, kein Völlegefühl. Ursprünglich, ohne künstliche Zusätze. Die handelsüblichen Sporternährungsprodukte kommen zwar auch zum Einsatz, aber nur in Notfällen. In dieser Beziehung ist Trailrunning auch eher Genusssport. Am besten lässt sich das Gefühl während acht Tagen mit zwei Worten beschreiben: Natürlich glücklich!
Die Tasche? Wie es mit dem Gepäck weiterging? Gib die Hoffnung niemals auf! Am vierten Tag taucht dann tatsächlich Josef mit dem Geländewagen auf der anderen Seite des Kilimanjaro auf und bringt mir meine ersehnten Sachen. Alles Notwendige für diesen Event ist in dieser Tasche. Zumindest dachte ich das vor der Abreise über das, was ich nach sorgfältigen Tests eingepackt hatte. Die Reise belehrt mich eines Besseren. Eine gut organisierte Ausrüstung hilft sicher ungemein. Viel wichtiger ist aber die mentale und körperliche Einstellung auf die Belastung. Alles andere ist ersetzbar. Asante sana an meine Mitstreiter, jeder Einzelne hat mich immer wieder mit den Dingen des täglichen Bedarfs unterstützt. Gefeiert wird die Ankunft der Tasche dann übrigens standesgemäss. Irgendwo im nahe gelegenen Ort lassen sich auch ein paar Bier für diesen Anlass auftreiben.
Natürlich muss man sich auf einen Mehrtageslauf anders vorbreiten als auf einen Marathon. Es ist Kopfsache. Ist das Hirn auf 8 Tage programmiert, kommt es zu keinen bösen Überraschungen. Die Empfehlung von Simon bis zu 140 Wochenkilometer in der Vorbereitung zu laufen, ist da wohl eher etwas hoch angesetzt. Die diesjährigen Teilnehmer reisten mit deutlich weniger Kilometern an. Aufgeben muss hier keiner. Die Geschwindigkeit wird dem Potential der Läufer angepasst. Niemand ist auf Bestzeiten aus. Ob mit oder ohne Tasche.
Hakuna Matata am Kilimanjaro!
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